16.12.10

Weltnacht, Wehnacht, Weihnacht

Gedanken zum Weihnachtsfest, und zur Nacht aller Nächte und dem, was sie mit unserem persönlichen Leben zu tun hat ...

Blaues Stadtkirchenfenster Stadtkirche Nagold - die Krippe

Weltnacht, Wehnacht, Weihnacht

Was war das eigentlich damals für eine Nacht? Diese Weihnacht. Diese Nacht aller Nächte.

Und wie verändert sie unsere Lebens-Nächte?

 

 

1. Welt-Nacht

Es war eine Nacht wie jede andere. Dunkel fällt über das Land und löscht den Tag aus. Die Menschen ziehen sich in ihre Häuser zurück, suchen den Schutz und die Wärme. Die wilden Tiere machten sich auf und reißen ihre Beute. Hirten wachen draußen bei den Herden und wärmen sich am Feuer, wie schon hunderttausendmal.

Auf die Schwermütigen fällt die Nacht wie Blei. Die Erschöpften begrüßen die Nacht als Erholung. Die Kranken fangen schon an, die langen Stunden zu zählen, bis es wieder Tag werden wird, hoffentlich.

Sterne leuchten am Himmel. Es ist eine Weltnacht, eine Allerweltsnacht.

Wie Heiliagbend. Eigentlich doch eine Allerweltsnacht. Menschen feiern. Menschen hassen. Menschen vergessen. Menschen tragen nach. Menschen freuen sich über Gemeinschaft. Menschen sind allein. Wie jede Nacht.

Von außen gesehen eine Nacht wie jede andere auch. Von außen gesehen.

Aber näher besehen sieht es ganz anders aus.

 

 

2. Weh-Nacht

Es war eine Weh-Nacht. Trauer und Schmerz lag über dieser Nacht, vielleicht mehr als über allen anderen Nächten.

Da haben sie schon eine lange Reise hinter sich. Josef und Maria kommen über 100 km her von Nazareth im Norden, in Galiläa bis hin zu diesem kleinen Ort Bethlehem im Süden, in Judäa, sogar noch südlicher als die Hauptstadt Jerusalem. Und alles zu Fuß.

Nicht selbst ausgesucht. Kein Verwandtschaftsbesuch. Sondern eine kaiserliche Verordnung hat es ausgelöst. Eine Steuerreform stand an. Die Juden sollen mehr Steuern zahlen an ihre Besatzer, die Römer. Und dazu muss man wissen, wer alles steuerpflichtig ist. Also ab zum Eintragen in Steuerlisten.

Und dann alles wegen Überfüllung geschlossen. Nur in dem Teil eines Hauses, in dem auch das Vieh nächtigte, war noch etwas frei. Stall, Stroh, Krippe. Das wurde das Nachtlager.

Und dann die Geburt. Keine Idylle, sondern der Schmerz einer ganz jungen Frau, die ihr erstes Kind bekommt. Die noch überhaupt keine Erfahrung hat. Und keine Hebamme in der Nähe. Von manchem Schrei der Geburtswehen wird diese Weinnacht durchdrungen worden sein. Wenn sich Maria ihn nicht zerbiss.

Eine Wehnacht.

Sie reicht bis hin zu den Hirten. Die sitzen auf dem Feld bei ihren Schafen – und sind plötzlich ganz gefangen in ihrer Angst. Eine Gottesstimme, eine Engelerscheinung. Nie und nimmer haben sie so etwas je erlebt. Das kalte Grausen packt sie, so als habe ihr letztes Stündchen geschlagen.

„Sie fürchteten sich sehr.“

Ist es nicht heute Abend auch Weh-Nacht?

Was haben Sie, jede und jeder von Ihnen persönlich, heute Abend mitgebracht in diese Nacht?

Entweder aus den letzten Tagen und Wochen. Die Beschwernis, auf die Weihnacht zuzugehen und doch so gar nichts vom Frieden auf Erden zu erleben. Sondern eher das bleierne Ausgebranntsein im Blick auf die Festtage.

Oder Weihnachten als Fest der Familie geplant zu haben. Alles schön machen zu wollen. Aber dann zu merken, diese Idylle hat unheilbare Risse. Da ist nicht alles Gold oder Silber, was als Lametta die Weihnachtsstimmung heben soll. Oder auf der einen Seite beglückend heute abend einen Familienabend erlebt zu haben. Aber zu fürchten: wie wird es wieder morgen? Wenn wieder alles auseinander läuft und die Feststimmung verflogen ist.

Die Wehnacht. Es ist genau die Nacht, die sie damals war.

Und deshalb gilt ja auch: diese Nacht kann Weihnacht werden. Damals ist sie geworden. Und seither steht das als Gottes Verheißung. Wehnacht wird zur …

 

 

3. Weih-Nacht

Die großartigste frohe Botschaft der Welt! Es ist in jener Nacht Weihnacht geworden.

Bitte, nicht die geweihte Nacht, die wir vielleicht suchen und da und dort zu finden meinen. Nicht die süßen Glocken und der leise rieselnde Schnee und das alle Jahre wieder.

Sondern echt Weihnacht.

Nämlich: Gott weiht sich mir mitten in der Nacht. In dieser Nacht kommt nämlich Gott und gibt sich in diese Welt hinein.

Gott weiht uns in dieser Nacht seinen Sohn.

"Euch ist heute der Heiland geboren, welcher ist Christus, der Herr, in der Stadt Davids. Und das habt zum Zeichen: Ihr werdet sehen das Kind in Windeln gewickelt und in einer Krippe liegen.“

Gott wird in seiner Liebe zu uns ganz klein. Ein Kind, in Windeln gewickelt.

Es ist zum Staunen. Es ist wie mit jenem Jungen, der mit seinem Großvater zu einer Krippe herzutritt und hineinschaut und eben nichts anderes sieht als ein kleines Kind, das darin liegt. Da bricht es aus dem Jungen heraus: was Opa, so klein wird Gott?

Ja, so klein wird Gott. So ohnmächtig und elend, so hilflos und verletzlich.

Das ist Gottes Liebe in der Weihnacht. Er setzt seinen Sohn aller Verletzlichkeit aus, um uns sich zu weihen. Er will ganz zu uns gehören. Gott wird Mensch an Weihnachten.

Er gibt diesen Jesus in die Krippe und letztlich damit ja auch ans Kreuz, um für unsere Schuld seine Liebe bis aufs Äußerste zu beweisen.

Er gibt sich ganz, damit wir uns ganz ihm weihen können.

Weihen: ihm gehören.

Denn wenn ich die Weihnacht erlebt habe, dann kann es gar nicht beim Gleichen bleiben. Dann wird mitten in der Weltnacht, mitten in der Weinnacht Weihnacht.

In der Liebe weiht uns Gott seinen Sohn. Im Glauben weihen wir Gott unser Leben.

Wem haben Sie ihr Leben geweiht? Wem gehört es?

Wem gehört es in dieser Nacht?

Seit der Sohn Gottes uns in der Krippe gehört, kann uns unser Leben nicht mehr selbst gehören. Nicht irgendwelchen kurzfristigen, kurzlebigen Zielen. Sondern es soll eine besondere Weihe bekommen.

Dann wird diese Heilige Nacht unser ganzes Leben verändern.

 

Ein kleiner Junge ist stolz darauf, eine Großvater zu haben, der Figuren schnitzen kann. Es ist schon faszinierend zu sehen, wie langsam aus einem Stück Holz "lebendige" Gestalten entstehen. Der Junge vertieft sich so in die geschnitzten Krippenfiguren, daß sich seine Gedanken mit der Welt der Figuren vermischen: er geht mit den Hirten zum Stall in Bethlehem und steht plötzlich mit vor dem Kind in der Krippe. Die Hirten haben etwas mitgebracht. Nur seine Hände, so merkt er, die sind leer.

Aufgeregt sagt er schnell: "Ich verspreche Dir das Schönste, was ich habe! Ich schenke Dir meine neue Spielzeugeisenbahn, nein, mein neues Fahrrad."

Das Kind in der Krippe schüttelt lächelnd den Kopf und sagt: "Ich möchte aber gar nicht Dein neues Fahrrad. Schenke mir - Deinen letzten Aufsatz."

"Meinen letzten Aufsatz?", stammelt der Junge ganz erschrocken, "aber da steht doch eine sechs drunter, ungenügend."

"Genau das will ich haben", sagt das Jesuskind. "Du sollst mir immer das geben, was nicht genügend ist. Dafür bin ich in die Welt gekommen."

"Und dann möchte ich noch etwas von Dir haben", fährt das Kind in der Krippe fort. "Ich möchte Deinen Trinkbecher."

"Meinen Trinkbecher? Aber der ist mir doch zerbrochen", antwortet der Junge traurig.

"Eben deshalb will ich ihn haben", sagt das Jesuskind liebevoll. "Du kannst mir alles bringen, was in Deinem Leben zerbricht. Ich will es heilmachen!"

"Und ein drittes möchte ich noch von Dir", hört der Junge wieder die Stimme des Kindes in der Krippe. "Ich möchte noch von Dir die Antwort haben, die Du Deiner Mutter gegeben hast, als sie fragte, wieso denn der Trinkbecher zerbrochen ist."

Da weint der Junge. Unter Tränen gesteht er: "Aber da habe ich doch gelogen. Ich habe der Mutter gesagt: 'Der Trinkbecher ist mir aus Versehen hinuntergefallen.' Dabei habe ich ihn vor Wut auf den Boden geworfen."

"Deshalb möchte ich die Antwort ja von Dir haben", sagt das Jesuskind bestimmt. "Bring mir immer alles, was in Deinem Leben nicht in Ordnung ist, böse, verlogen, trotzig und gemein. Dafür bin ich in die Welt gekommen.

Weil Jesus sich dieser Welt und mir geweiht hat, kann ich ihm alles geben. Damit er es weiht, heilt, damit Weihnacht wird.

Amen.

 

 

Lied

EG 37,1-4: Ich steh an Deiner Krippen hier

 

1. Ich steh an deiner Krippen hier, / o Jesu, du mein Leben; / ich komme, bring und schenke dir, / was du mir hast gegeben. / Nimm hin, es ist mein Geist und Sinn, / Herz, Seel und Mut, nimm alles hin / und laß dir's wohlgefallen.

2. Da ich noch nicht geboren war, / da bist du mir geboren / und hast mich dir zu eigen gar, / eh ich dich kannt, erkoren. / Eh ich durch deine Hand gemacht, / da hast du schon bei dir bedacht, / wie du mein wolltest werden.

3. Ich lag in tiefster Todesnacht, / du warest meine Sonne, / die Sonne, die mir zugebracht / Licht, Leben, Freud und Wonne. / O Sonne, die das werte Licht / des Glaubens in mir zugericht', / wie schön sind deine Strahlen!

4. Ich sehe dich mit Freuden an / und kann mich nicht satt sehen; / und weil ich nun nichts weiter kann, / bleib ich anbetend stehen. / O daß mein Sinn ein Abgrund wär / und meine Seel ein weites Meer, / daß ich dich möchte fassen!