28.04.11

Dekan-Freihofer-Straße gewidmet

Nun gibt es in Nagold eine Straße im Neubaugebiet Rötenbad, die den Namen des bekannten Dekans trägt. Mehr als verdient, wie OB Großmann und Dekan Albrecht anlässlich der Widmung am 28.04. betonten. Hier finden Sie, was Dekan Albrecht zum Anlass sagte ...

... "Johann Georg Freihofer, geb. 1806 in Althengstett, er besuchte die Lateinschule in Nürtingen, das Obergymnasium in Stuttgart und studierte Theologie am Stift in Tübingen. Anschließend war er Vikar in Walddorf bei Tübingen, Pfarrverweser in Neuhengstett, Pfarrer in Kayh bei Herrenberg und ab 1851 Dekan in Nagold. Als Pfarrer in Neuhengstett und Kayh hätte sich wohl nie denken lassen, dass man 160 Jahre später in Nagold ihn noch als Ehrenbürger kennt, als er 1851 nach mehreren vergeblichen anderen Bewerbungsversuchen auf die vakante Dekanatstelle Nagold berufen wird.

 

Als Dekan ist Freihofer an drei verschiedenen Stellen ganz besonders tätig, die bis heute in ihrer Bedeutung nicht zu unterschätzen sind:

 

 

1. Die Sozialhilfe

 

Im Jahr 1847 war in Nagold ein Bezirkswohltätigkeitsverein gegründet worden. Dessen Vorsitz übernahm Freihofer und baute die sozialfürsorglichen Belange aus – gründete einen Bezirksarmenverein, der die örtlichen Armenvereine koordinieren sollte und das Betteln auf der Straße eindämmen sollte.

 

Und in der Breite unterstützte Freihofer mit diesem Verein Lernhilfen, Ausbildungsmaßnahmen und finanzielle Unterstützung, die immer zur Eigeninitiative anleiten und helfen sollte. Eines seiner wichtigsten Ziele war, dass die entsprechenden Hilfen „nicht bloß zur Erlernung von Arbeit, sondern auch zu einträglichem Erwerb“ dienen sollten. Sinn und Auskommen, Arbeit und Erwerb, erfüllte Zeit und gefüllte Taschen, das ging bei ihm Hand in Hand.

 

Strukturell ging er dabei so vor, dass er unter dem Dach des Hauptvereins einige, sich auch stetig verändernde Initiativvereine gründete – um nur einige Beispiele kurz zu machen, die uns sicherlich besonders interessieren:

 

-Leihanstalt für arme Tuch- und Zeugmacher: Die örtlichen Handwerker brauchten auf der einen Seite dringend Erneuerung, auf der anderen Seite fehlte es ihnen meist an dem dafür zunächst nötigen Kapitaleinsatz. Und Freihofer war maßgeblich dafür verantwortlich, diese Initiative so zu erneuern, dass die verliehene Geldhöhe auch zu dem passte, was an Erneuerung und Hilfe nötig und möglich war.

 

-Bezirksnäh- und Strickanstalt: Im Mai 1852 wurde eine Nähanstalt im oberen Stock des Schulhauses errichtet. Und ein Novum angestoßen. Eben nicht die Qualifizierung für haushaltliche Näh- und Sticktätigkeiten, sondern die Ausbildung zu qualifizierten Industrieschullehrerinnen.

 

Fazit von Freihofers erstem Tatfeld: ständig kann Gutes getan werden; was zu tun ist, ist ständiger Veränderung unterworfen, es ist aber entscheidend, dass es gemeinsam getan wird: kommunale Verwaltung, bürgerliches, ehrenamtliches Engagement und kirchliche Anbindung können an dieser Stelle, damals wie heute und morgen, eine sehr fruchtbare Allianz eingehen. Der Straßenname im Rötenbad ist hier für ein Signal.

 

 

2. Die Stadtkirche

 

Für das neu aufstrebende Mut- und Wutbürgertum des 21. Jahrhunderts sicher ein ganz entscheidender Zug der Person Freihofer war sein genialer Schachzug im Blick auf Behörden- und Staatsfinanzen – bezugnehmend auf den Neubau der Stadtkirche.

 

Im Lauf des 19. Jahrhunderts, als Nagold auf 2-3000 Einwohner angewachsen war, zeigte sich das alte Gotteshaus mehr und mehr als viel zu klein, dazu war es, mit seinem Alter von 500 Jahren, 'an Haupt und Füßen baufällig geworden', so dass allmählich für die Kirchenbesucher Gefahren entstanden. Man hatte versucht zuerst im Jahr 1847 abzuhelfen durch Verbesserung der Grundmauern der alten Kirche und durch Anbringung einer zweiten Empore. Aber immer dringender und allgemeiner wurde das Verlangen nach einer neuen und größeren Stadtkirche.

 

Ein Haupthindernis zum Bau einer neuen Kirche war noch die Kostenfrage. Dem im Jahre 1851 nach Nagold ernannten Dekan Freihofer gelang es, die lang gehegten Wünsche zu erfüllen. Er machte die hochbedeutsame Entdeckung, dass nach einer Urkunde vom 24. Juni 1543 Herzog Ulrich das ganze Kirchenvermögen von Nagold und seinen Filialen Emmingen, Mindersbach, Iselshausen und Unterschwandorf, bestehend aus Zehnten, Gütern, Gefällen und Scheuern, dem Kloster Stein am Rhein abgekauft und mit dem Staatsvermögen vereinigt habe, dass demnach der Staat, als Besitzer des Nagolder Kirchenvermögens, verpflichtet sei, der Gemeinde zu einer neuen Kirche zu verhelfen.

 

Es mussten aber noch mühevolle Nachforschungen in den Rechnungen des Heiligen, des Siechenhauses, der Stadtgemeinde durch drei Jahrhunderte hindurch gemacht werden, bis Rechtsanwalt Dr. Göhrum in Stuttgart nach vier Jahren den Rechtsanspruch gegenüber dem Staat genügend begründet finden konnte. Im Juli 1858 wurde dann eine Klage gegen die Staatskasse beim Oberamtsgericht Calw eingereicht.

 

Am 11. Juni 1860 entschied dieses Gericht, dass die Finanzverwaltung als Besitzerin des Vermögens der Pfarrkirche in Nagold schuldig sei, im Falle des Unvermögens des Heiligen in Nagold die Baulast an der Pfarrkirche zu Nagold, namentlich auch die Kosten eines Neubaus derselben zu tragen. Die staatliche Finanzbehörde legte gegen dieses Urteil Berufung ein beim Gerichtshof in Tübingen: aber auch dessen Entscheidung fiel am 21. Juni 1861 wieder zu Gunsten Nagolds aus, ebenso wie in der letzten Instanz die Entscheidung des Ober-Tribunals am 29. Januar 1863.

 

Nach diesem fast fünfjährigen Rechtsstreit musste noch entschieden werden, wie die Baukosten für die neue Stadtkirche zwischen der Kirchengemeinde und dem Staat zu verteilen seien. Wieder gab es Verzögerungen.

 

Am 10. Nov. 1865 wurde die Übereinkunft getroffen, wonach die Finanzverwaltung sich zur Erstellung einer neuen Kirche verpflichtete, außerdem für das bisherige Kirchengebäude und dessen Grundfläche nach Einweihung der neuen Kirche 5000 Gulden bezahlen musste.

 

Es wurde der jetzige Kirchplatz einstimmig gewählt, 'weil dieser Platz auf einem Bergrücken zwischen zwei Tälern, frei, sonnig, etwa 60 Fuß über der Nagold, der Mitte der Stadt am nächsten gelegen ist, in seiner erhabenen Lage von allen vier gegen die Stadt ausmündenen Tälern und auch von der Eisenbahn aus überraschend ins Auge fällt.'

 

Endlich, am 9. Juni 1870, konnte mit dem Bau begonnen werden. Das Werk machte ruhige Fortschritte. Nicht einmal der Ausbruch des deutsch-französischen Krieges brachte einen Stillstand oder auch nur eine Verzögerung.

 

Die Einweihung der Kirche fand am Thomasfeiertag, 21. Dez. 1874, statt. Die Gemeinde ließ von der alten bis zur neuen Stadtkirche Tannenbäumchen an die Straße setzen.

 

Vor der Post stellte sich der Festzug auf. Unter dem Geläute der alten und neuen Glocken setzte sich der unabsehbare Zug zwischen den Reihen der beschneiten Tannenbäume auf der Bahnhofstraße in der Richtung der neuen Kirche in Bewegung. Am Hauptportal der Kirche übergab der Erbauer der Kirche, Oberbaurat Landauer aus Stuttgart, den Schlüssel dem Kameralverwalter und dieser wiederum an Dekan Freihofer, der dann mit einer kurzen Ansprache das Hauptportal aufschloss.

 

 

Soweit, schon so bedeutend. Und doch geht es hier nicht nur um den Rückblick auf einen großen Nagolder Bau. Wir benennen ja heute nicht die Bahnhofstraße in Johann Georg Freihofer Straße um, sondern sind hier in einem Neubauteil unserer Stadt, der seine Zukunft direkt vor sich hat und ein Zeichen ist für das weitere Aufstreben unserer Stadt. Doch ein weiterer Teil seines Werkes ist m.E. noch stärker in die Geschichte und die Verpflichtung für die Nagolder Zukunft eingegangen.

 

 

3. Die Schularbeit

 

Freihofer war selbst buchschreibend tätig, und dies im Bereich der Pädagogik.

 

Nicht nur, dass das Lehrerseminar maßgeblich in seiner Entstehung auf ihn zurückgeht, ihm ging es um die Herausforderungen und die zukunftsweisenden Konzepte für den praxisorientierten Bereich pädagogischer Bildung und für die Vermittlung christlicher Wert-Bewegungen.

 

Schon 1845 hatte er in erster Auflage ein Buch geschrieben, das zu einem pädagogischen Bestseller avancierte – und dessen 8. Auflage ich hier der Familie Freihofers verdankend, in Händen halte.

 

Es war eine zu Lebzeiten Freihofers schon in sches Auflagen erschienene Anthologie, die im Auftrag des Württembergischen Volksschul-Vereins herausgegeben wurde und "vielen zeitgenössischen Herausgebern und Pädagogen als Anregung und Vorbild diente" (LdKJL). Der Pädagoge Johann Georg Freihofer wollte mit dieser Veröffentlichung "Seelsorge und praktische Belehrung" miteinander verbinden; bekannte u. unbekannte Texte wurden aufgenommen. Das "Kinderbuch" war lange weit verbreitet.

 

Schon die Bandbreite der Bildungs-Beispiele ist begeisternd: Gebete, Lieder, Denksprüche, Rätsel, Fabeln, Märchen, Spiele … - alles inbegriffen und pädagogisch konzeptionell begründet mit Worten, die bis heute nichts von ihrer Aktualität verloren haben: Er entdeckt die Zeit der Kinder von – Achtung! – 1-8 Jahren als Zeit der Bildung (Seite 6). Er verbindet Gedächtniskraft mit Anschauungskraft. Und er sieht die großen Vorteile einer Bildung, die Geistliches und Weltliches nicht künstlich trennt, sondern in Beidem Anstöße und Anregungen gibt.

 

Dazu singt er in den höchsten Tönen das Loblied aufs Singen und die Musik, besonders im Elementarbereich – und kann nicht genug die Fantasie der Vorsingenden anregen (SBS).

 

Weiter empfiehlt er die Integration und Abwechslung von freiem Erzählen und Vorlesen – dies lenke von der Langeweile ab. Und entscheidend sei die eigene heilige Ergriffenheit (Seite 8). Was in mir brennt, kann andere entzünden.

 

Den Forschungsdrang lobt er als großes Geschenk – Zitat: „und sollten ihre Warum und Wozu dich noch so oft unterbrechen: freue Dich darüber als das Zeichen eines wachen und denkenden Geistes.“

 

Und zum Schluss setzt er besonders auf die Spüielpädagogik als einen eigenen, von hohem Gewinn gezeichneten Teil der Pädagogik: Spiele sind keineswegs bloßer Zeitvertreib. Sie dienen der Entwicklung … besonders des Verstandes und der Einbildungskraft (Phantasie), der Geduld und Verträglichkeit. Spiele sind sozusagen die Prototypen für die intellektuelle und die Förderung des sozialen Lernen. Wer spielt, der lernt.

 

Freihofer schließt sein Buch mit dem Bibelwort aus dem 1. Petrusbuch: „Dient einander, ein jeder mit der Gabe, die er empfangen hat, als die guten Haushalter der mancherlei Gnade Gottes“.

 

Damit ist eigentlich sein gesamtes Lebensprogramm in unserer Stadt ausgesprochen.

 

Es speist sich aus dem Glauben an den einen Gott, der uns in seinem Sohn Jesus Christus gut, gnädig und gütog entgegenkommt. Daraus bezieht alles seinen Sinn und seine Kraft, auch im sozialen und pädagogischen Alltag.

 

Und dieser Glaube bekommt dann praktische Gestalt.

 

In der sozialen Fürsorge, im Ortfinden und Leben für Gottesdienst, Gebet, Kirchenmusik – in einem Ort der Gottesbegegnung auch abseits vom Alltag.

 

Und in der Pädagogik. Von Anfang an bis hin zur schulischen Bildung, in der dann auch wieder Pädagogik und Sozialarbeit Hand in Hand gehen, so wie wir als Kirche dies, Freihofer und auch Zeller folgend, in Zukunft wieder vermehrt tun wollen.

 

Daran erinnert diese Straße – aber vor allem: dafür motiviert uns in Zukunft diese Straße.

 

 

Und so wollen wir für diese Straße, für die Bewohner dieses Gebiets und vor allem für unsere Stadt im Gesamten um Gottes Segen bitten:

 

Gott, der HERR, segne, was in dieser Straße geht, lebt, isch begegnet. Er gebe allen, die sich hier treffen, Achtung und Freundlichkeit, Liebe und Geduld füreinander. Möge ihr Kommen und Gehen unter dem Siegel von Gottes liebender Fürsorge stehen. Möge von dieser Straße Frieden ausgehen für unsere Stadt, Frieden miteinander. So segne uns Gott der Vater, der Sohn und der Heilige Geist. Amen."